Lieferengpässe für häufig verordnete Medikamente, eine zunehmende Gefahr durch Antibiotikaresistenzen, dramatische Umsatzrückgänge in der pharmazeutischen Industrie als Folge der Globulisierung der Gesellschaft sowie Anstieg der Depressionsrate bei Wintersportlern wegen eines bevorstehenden milden Winters: die Krisen häufen sich! Da kann die von Selbstzweifeln völlig ungetrübte Position eines profunden Kenners der Volkgesundheit und ihrer möglichen Anfechtungen eine vorweihnachtlich wohlige Beruhigung stiften: wir hatten das große Glück, Herrn Dr. B, verantwortlichen Redakteur einer großen medizinischen Fachzeitschrift aus dem süddeutschen Raum am Telefon nach seinen wertvollen Ratschläge zu befragen.
Herr Dr. B., die Zeit der Erkältungen und grippalen Infekte steht vor der Tür, und der nächste Influenza-Tsunami erreicht ebenfalls demnächst die Küsten unserer Zivilisation. Was raten Sie ihren Freunden und Angehörigen?
Dr. B.: Ach wissen Sie, raten ist wie fischen im Trüben, das ist alles Humbug, entscheidend ist, was die Wissenschaft zu sagen hat. Meine Freunde fragen mich auch gar nicht um Rat, weil die wissen, dass ich sowieso immer gesund bin. Außerdem ist meine Frau auch Frauenärztin, da bin ich in guten Händen, und wenn das dann mal nicht ausreichen sollte, dann lege ich mich 2 Wochen ins Bett und meine Frau kocht mir Hühnersuppe.
Sie können sich einfach ins Bett legen und sind dann für Ihre Redaktion gar nicht mehr erreichbar?
Dr. B.: Meine Kollegen vermissen mich meist gar nicht, manche sind sogar froh, wenn ich nicht da bin. Und um meinen Arbeitsplatz mache ich mir schon längst keine Sorgen mehr, weil alle wissen, dass ich unersetzlich bin, auch wenn ich nicht da bin.
Da muten Sie ihren Lesern aber ganz schön was zu: die warten dann auf Ihre Erklärungen und wissen ohne Ihre Expertise gar nicht, was sie unter Umständen tun sollen, wenn sie jetzt krank werden.
Dr. B.: Nö, die Leute wissen, dass man sich im Falle des Krankseins nur die Zeit vertreiben muss, während der Körper von selbst gesund wird. Da können Sie dann das Kirchenradio an- oder, noch besser, die Augen zumachen, denn im verblindeten Zustand ist unser Organismus nicht unnötig abgelenkt, das schafft er dann schon, wenn er gesund ist, und wenns nicht reicht: Hühnerbrühe!
Hühnerbrühe? Ist das Ihr Ernst? Soll das helfen?
Dr. B.: Ach wissen Sie, Herr Ernst ist ein sehr erfahrener Professor aus England, ein Bruder in meinem Geiste, wenn ich mal so sagen darf. Und der analysiert seit Jahrzehnten die unterschiedlichsten Krankheiten, also die Studien über Krankheiten, und der kommt zu dem Ergebnis, dass Nichtstun oft die beste Medizin ist. Außer Sie kommen natürlich mit dem Kopf unter dem Arm daher, da sollte man dann schon eingreifen, aber da sind dann die Chirurgen zuständig, und da gibt es ganz klare Studienergebnisse mit hoher Eminenz, also Evidenz: wenn der Kopf wieder anwächst ist der Patient hinterher wieder vollständig, wenn nicht, dann natürlich nicht, dann kann es auch vorkommen, dass der Mensch daran stirbt, aber eine drop-out-Rate …
… Sie meinen wenn der Kopf runterfällt?….
… wie bitte? Also eine drop-down-Rate gibt es überall, da ist die Schwerkraft daran schuld, das ist wissenschaftlich erwiesen. Da brauchen Sie auch keinen Pfarrer mehr, nicht mal mehr Hühnersuppe.
Sehr interessant. Was halten Sie eigentlich von Homöopathie bei weniger schweren Fällen?
Dr. B.: Das können Sie natürlich schon machen, da machen Sie Ihren Zauberkasten auf und holen den ganzen Hokuspokus heraus, aber Sie können auch einfach abwarten: Nichtstun klingt immer so negativ, aber der Körper tut ja was, er wird nämlich von alleine gesund, wenn Sie ihn dazu anregen, z.B. mit heißem Tee oder Brühe.
Sie haben kürzlich mal in einer Talkrunde gesagt, dass bei homöopathischen Mittelchen schon ab einer D 10 kein Molekül einer Wirksubstanz mehr drin sei. Stimmt das?
Dr. B.: Das sagt auch meine Frau und das weiß inzwischen jedes Kind: Homöopathie ist Humbug, weil viel zu wenig und meist gar nichts mehr drin ist in den Zuckerkugeln, jedenfalls ist kein Hühnerknochen mehr drin und auch die Brühe, die sie dann auf ihre Kugeln spritzen ist längst verdunstet, äh, vergoren, bis sie das Zeug dann schlucken.
Aber D 10 ist doch noch gar keine so hohe Potenz, da könnten doch noch Spuren von Huhn drin sein. Haben Sie denn schon mal von der Loschmidtschen Zahl gehört?
Dr. B.: Gutes Beispiel: Helmut Schmidt war Kettenraucher und wurde trotzdem ziemlich alt. Da sieht man doch ganz deutlich, dass es keine Homöopathie braucht, um gesund zu bleiben und Bundeskanzler zu werden. Wenn Sie mich fragen: wenn meine Freunde von der wissenschaftlichen Müllabfuhr ernsthaft dran bleiben und, sagen wir mal, alle Wissenschaftsredaktionen mit mir besetzen, dann zeige ich Ihnen gerne auch die Studien, in denen randalierende, also randomisierende Wissenschaftler allen Augenärztinnen und Augenärzten der Republik ihr subversives Handwerk legen, indem sie ihren Kunden die Augen lasern, damit sie besser sehen können, anstatt sie alle doppelt und dreifach zu verblinden. Denn nur so können sie wirkliche Wissenschaft betreiben, und mal unter uns gesagt: um Hühnersuppe zu bekommen brauchen sie gar keine Augen, die riechen sie auch blind….
Na ja, jetzt sind Sie mir aber ausgewichen, egal. Noch eine letzte Frage: was halten Sie als Fußball-Fan eigentlich von Studien?
Dr. B.: Schauen Sie, wenn jetzt Unterföhring fünf Spiele gegen Ober-, Über-, Unter-, Neben- und Sonstwasbrunn gewinnt, dann kann man das doch nicht vergleichen mit einem Auswärtssieg des FC Bayern gegen, sagen wir mal Mönchengladbach – naja, vielleicht jetzt gerade kein so gutes Beispiel. Jedenfalls ist es genauso mit den Homöoopathiestudien, verstehen Sie?
Herr Dr. B., wir danken Ihnen sehr für Ihre fundierten Ausführungen, bleiben Sie gesund! Und bei uns geht’s jetzt weiter mit der Sendung „Ich sehe was, was Du nicht siehst“. Bleiben Sie dran!