Googeln Sie mal „Sackett“ und „Evidenz-basierte Medizin“, so landen Sie unmittelbar bei einem Artikel der MMW aus dem Jahr 1997 mit dem Titel „Was ist Evidenzbasierte Medizin und was nicht?“ Und da erfährt der geneigte Leser, dass „Gute Ärzte sowohl klinische Expertise als auch die beste verfügbare externe Evidenz nutzen, da keiner der beiden Faktoren alleine ausreicht“, und weiter: „Ohne klinische Erfahrung riskiert die ärztliche Praxis durch bloßen Rückgriff auf die Evidenz „tyrannisiert“ zu werden“. Jawohl, da ist expressis verbis von Tyrannei die Rede! Es folgt wenige Sätze weiter der Hinweis: „Externe klinische Evidenz kann individuelle klinische Erfahrung zwar ergänzen, aber niemals ersetzen“. Niemals! Da haben wir also schon zwei Säulen der EbM.
Und die Patienten? Ihnen ist die dritte Säule der EbM gewidmet. Sie sind nicht Opfer ihrer Krankheit, sondern Akteure im Prozess des Gesund- und Krankwerdens. Sie sind diejenigen, um die sich alle Medizin dreht. In Zeiten des Internet sind sie informiert und wissen meist, was sie wollen. EbM misst ihren individuellen Wünschen und persönlichen Präferenzen einen wesentlichen Stellenwert bei allen Therapieentscheidungen zu.
Eigentlich! Wäre da nicht die Phalanx der Homöopathie-Leugner! Sie tun so, als gäbe es keine mündigen und selbstbestimmten Bürgerinnen und Bürger mehr, und wenn es diese Spezies doch geben sollte, dann müsse man diesen verirrten Kreaturen nur gründlich das Gehirn waschen, um sie vor sich selbst zu schützen. Weil diese Menschen nun mal überhaupt keine Ahnung haben und angeblich nicht wissen, was sie tun ist es wohl das Beste, ihnen die Homöopathie auf dem Umweg über Politik, Medien und Ärztekammern einfach wegzunehmen. Ersatzlos, versteht sich. Ups, schon ist sie weg, die Säule 3, die „Patientensäule“.
Demokratie lebt von der Bürgerbeteiligung. Aber warum nur alle vier Jahre zu Wahlzeiten? Man kann auch zwischen den Wahlen krank werden, und da ist sie nicht einfach weg, die Mündigkeit und Selbstbestimmtheit der Menschen. Sie besteht weiter, und die freie Arztwahl beinhaltet auch die Freiheit, die Ärztinnen und Ärzte des Vertrauens zu wählen und damit auch deren fachliches sowie fachärztliches Portfolio. Homöopathie steht auf der Liste gewünschter Therapieoptionen ganz weit oben, aber dieser Wunsch ist mit der Erwartung verknüpft, dass die spezielle Expertise auch gesichert ist und das Behandlungsangebot auf dem solide ärztlichen Fundament im Rahmen einer Integrativen Medizin besteht.
Die Elimination der Zusatzbezeichnung „Homöopathie“ aus den Weiterbildungsordnungen zahlreicher Bundesländer ist zwar formal demokratisch (Abstimmung durch gewählte Delegierte) zustande gekommen. Abgestimmt haben aber nicht vom Volk gewählte Delegierte, sondern Ärztinnen und Ärzte, die in erster Linie die Interessen ihres Berufsstandes vertreten. Diese Interessen sind nicht deckungsgleich mit jenen der Menschen in unserem Land. Im Gegenteil: das Votum der Ärztekammer-Delegierten führt längerfristig und zwangsläufig zur Aushöhlung der Wahlfreiheit der Bürger, weil eines Tages gar keine ausgebildeten Ärztinnen und Ärzte mehr zur Wahl stehen, die eine solide, unter Aufsicht der Ärztekammern zustande gekommene homöopathische Zusatzqualifikation anbieten können.
Wenn schon die ärztliche Selbstverwaltung berechtigte Interessen von Patientinnen und Patienten aus dem Blick verliert, dann sollten Politik und Medien umso genauer hinschauen, wenn formal demokratische Prozesse zu undemokratischen Resultaten führen. Und wer Wissenschaftlichkeit und Evidenzbasierung im Munde führt macht sich schuldig, wenn er (oder sie) die Koordinaten eines repräsentativen Bezugssystems wie der EbM nach eigenem Gutdünken und willkürlich verändert. Das Einreißen von Säulen ist kein kreativer, sondern ein zutiefst destruktiver Prozess. Geben wir denjenigen heute eine Stimme, die keine Lobby gehabt haben werden, wenn sie in 50 Jahren krank sein sollten und Homöopathie wünschen.
Dr. med. Ulf Riker, Vorsitzender des DZVhÄ Landesverbandes Bayern