Interview mit Dr. med. Christa von der Planitz, Ärztin, Homöopathie, Bayreuth
Wie sehen Sie die Möglichkeiten Multiple Sklerose (MS) homöopathisch zu behandeln?
Trotz Verbesserung und Ausweitung der bei MS verwendeten Immunmodulatoren ist der Erfolg dieser eingreifenden Maßnahmen nicht durchgehend befriedigend. Lediglich ca. 30 bis 40 Prozent der Patienten reagieren gut auf diese Behandlungen. Oft werden diese Behandlungen wegen der erheblichen Nebenwirkungen abgebrochen und MS-Patienten suchen deshalb auch nach wirksamen komplementären Heilweisen, besonders der Homöopathie. Deren Erfolge sind durchaus ermutigend. Wenn die MS zudem noch durch weitere Erkrankungen, etwa Fatigue-Syndrom, oder Hashimoto Thyreoiditis kompliziert ist, sollte die Homöopathie in der Behandlung auf jeden Fall den Vorrang haben.
Wie kamen Sie dazu sich besonders mit diesem Krankheitsbild zu befassen?
Während meiner sechsjährigen klinischen Tätigkeit auf einer neurologischen Abteilung hatte ich es naturgemäß häufig mit MS-Patienten zu tun. Damals – vor 40 Jahren – gab es kaum Möglichkeiten dieses Krankheitsbild wirksam zu behandeln und so bekam ich die Erlaubnis bei den Patienten auch Homöopathie einzusetzen. Die Erfolge waren so ermutigend, dass ich später in meiner Praxis beschloss mich neben der homöopathischen Behandlung chronischer Krankheiten besonders auch diesem Krankheitsbild zu widmen.
Auf welche Erfahrungen konnten Sie zurückgreifen?
Es gab tatsächlich in der umfangreichen, über 220 Jahre alten homöopathischen Literatur eine Menge von Prüfungssymptomen und klinisch erfahrbaren Symptomen, die Hinweise auf die Behandlung neurologischer Krankheitsbilder gaben, aber wenig zusammenhängende Fallstudien. Da das homöopathische Heilverfahren jedoch ein völlig anderes Therapiesystem als die gängige schulmedizinische Behandlung darstellt, kann man es zum Glück nutzen, ohne an eine exakte klinische Diagnose gebunden zu sein.
Homöopathische Arzneien bestehen – und das ist ein Alleinstellungsmerkmal – aus komplexen Informationsmustern mit tausenden von Symptomen, ähnlich einem Mikrochip. Sie stellen damit ein Meer von Möglichkeiten dar. Allerdings setzt ihr Einsatz eine umfangreiche Ausbildung voraus, bei der man lernt, diese Informationsmuster sinnvoll und zeitgerecht einzusetzen. Hinsichtlich neurologischer Krankheitsbilder galt es also über viele Jahre umfangreiche Erfahrungen zu sammeln und mich mit anderen homöopathisch und neurologisch tätigen Ärzten auszutauschen.
Bei welchen Beschwerden der MS kann man denn mit Erfolgen rechnen?
Das ist schwer pauschal zu beantworten, denn die MS äußert sich sehr vielgestaltig und in sehr unterschiedlichen Schweregraden. Nicht umsonst nennt man sie die Krankheit der 1000 Gesichter. Fast jeder MS-Kranke hat sein individuelles Symptomenbild. Natürlich ist es besonders günstig, die Patienten möglichst frühzeitig homöopathisch behandeln zu können, wenn noch keine ausgeprägte Läsionslast (Vielzahl von Herden oder Vernarbungen) im Zentralnervensystem vorhanden sind.
Sehr häufig lassen sich Sehstörungen, Gefühlsstörungen, mäßig bis mittelgradig ausgeprägte Lähmungen, mäßige Spastik, Blasen- und Mastdarmstörungen, Schmerzzustände und Missempfindungen wieder zurückbilden oder doch deutlich bessern, vor allem, wenn sie noch nicht allzu lange bestehen. Deutlich schwieriger wird es bei schwerer Spastik und ausgeprägten Ataxien. Aber auch hier sind oft noch Linderungen möglich.
Kann man mit der Homöopathie die Krankheit nur lindern oder auch heilen?
Es wäre eine Anmaßung im Hinblick auf die MS von einer Heilung zu sprechen. Als geheilt kann man einen Patienten mit einer Autoaggressionskrankheit erst nach langen symptomfreien Zeiträumen von 10-20 Jahren oder noch länger betrachten. Sprechen wir also lieber von anhaltenden Vollremissionen. Ich habe viele Patienten, die seit 10-30 Jahren symptomfrei sind und keinen Schub mehr bekommen haben. Allerdings setzt das in den meisten Fällen voraus, dass auch andere Krankheitszustände oder Störungsmuster des Organismus weiterhin homöopathisch behandelt werden. Wir Homöopathen berücksichtigen dabei nicht nur den Querschnitt der aktuellen Krankheitssymptome sondern auch den Längsschnitt der pathologischen Entwicklung während der gesamten Biografie. Welche Konstitutionsschwäche, welche anstrengenden Lebensphasen, welche körperlichen oder seelischen Traumata oder welche Begleiterkrankungen und Vorerkrankungen haben das Immunsystem möglicherweise zu der autoaggressiven Verhaltensweise veranlasst? Häufig müssen im Laufe der Zeit mehrere Schichten von pathologischen Reaktionsmustern abgetragen oder Blockaden gelöst werden.
Was raten Sie Patienten, die sich für das homöopathische Heilverfahren interessieren?
Wenn Sie bisher über lange Zeit mit einer der gängigen Immuntherapien und deren erträglichen Nebenwirkungen gut zurechtkommen, dann bleiben Sie bei dieser Behandlung. Wenn Sie aber erhebliche Nebenwirkungen haben oder die MS von Fatigue, depressiven Verstimmungen oder anderen Körperkrankheiten begleitet wird oder Sie über einen sehr empfindlichen Organismus verfügen, denken Sie über eine homöopathische Behandlung nach.
- Suchen Sie sich einen Experten für homöopathische Therapie. Er sollte einen hohen Ausbildungsgrad haben und sich ständig weiterbilden. Im Idealfall wird das eher ein Arzt mit umfangreichen allgemeinmedizinischen Erfahrungen sein als ein Facharzt mit Tunnelblick auf das Krankheitsgeschehen und nur rudimentären homöopathischen Kenntnissen. Selbstverständlich nehmen wir aber als homöopathische Ärzte fachärztliche Untersuchungen gern in Anspruch. Ich persönlich bitte meine Patienten in größeren Abständen durch bildgebende Verfahren Erfolg oder Misserfolg der homöopathischen Therapie zu kontrollieren.
- Machen Sie sich zum Experten Ihrer individuellen Wahrnehmung und berücksichtigen Sie dabei nicht nur die krankhaften Symptome sondern alle Auffälligkeiten Ihrer psychischen und körperlichen Reaktionen. Vermeiden Sie den Blick ins Internet, er hält Sie eher von einer wertfreien Wahrnehmung ab. Unter Umständen kann ein Achtsamkeitstraining eine große Hilfe sein.
Ganz wichtig: nur das Zusammenspiel beider Experten, dem Ihres homöopathischen Arztes und dem Ihrer unverfälschten Empfindungen lässt homöopathische Heilarbeit gelingen. Und nun das wichtigste zum Schluss: lassen Sie nicht zu, dass Ihre Krankheit größer wird als Sie selber.