„Evidence based medicine“ – laut Wikipedia übersetzt mit „auf empirische Belege gestützte Heilkunde“ – klingt zunächst überzeugend nach großer Therapiesicherheit – wunderbar, oder? Also schaue ich als behandelnde Ärztin einfach in die Leitlinien, die mithilfe von Studien höchster Qualität entwickelt wurden und kann jedem Patienten bei jeder Erkrankung eine erfolgversprechende Therapie verordnen? Das Konzept der evidenzbasierten Medizin wurde in den 1980er Jahren eingeführt, um ärztlich-therapeutische Entscheidungen von Pharmainteressen zu entflechten und forderte daher ein Behandlungskonzept, das sich wohl begründet an den jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren sollte.

Soweit so gut (gemeint). Ist das gelungen?

Der australische Mediziner David Sackett verfolgte das Ziel, im Praxisalltag gut begründete Therapieentscheidungen aufgrund von aussagekräftiger, gesicherter Forschung zu treffen. RCTs – randomisierte kontrollierte Studien – sollten neue Forschungsergebnisse absichern.

20 Jahre nach der Einführung der EbM im Jahr 1996 zog Sackett in einem Interview mit dem viel zitierten Wissenschaftspapst Prof. John Ioannidis eine sehr ernüchternde Bilanz: Die Industrie habe die Wissenschaft in Geiselhaft genommen. Medizinische Studien würden vor allem zu Werbezwecken eingesetzt (1).

Diese Bilanz stimmt offenbar bis heute: Wo wir kritisch hinsehen, zeigen sich seit Jahren angeprangerte Verflechtungen mehr als je zuvor. Uns Ärzten werden vielversprechende Publikationen zu neuen Medikamenten vorgelegt, denen großzügig „verdrehte“ Studiendaten zugrunde liegen – wie Dr. Michael Hengartner bei seiner Antrittsvorlesung an der Uni Zürich eindrucksvoll aufzeigt: „Wie glaubwürdig ist die EbM – eine Kritik am Beispiel der Antidepressiva“.

Bei näherer Beschäftigung mit der Evidenz gängiger Blockbuster, Milliardenumsätze-generierenden Medikamentengruppen, wie z.B. den Magensäurehemmern, Ritalin bei ADHS, Statinen bei Hypercholesterinämie, oder Cyclosporin A beim trockenen Auge, findet man stets mehrere Metaanalysen, die dem jeweiligen Wirkstoff keine oder nur sehr geringe Wirkung über Placebo hinaus, bei zum Teil schweren Nebenwirkungen, bescheinigen. Müssten wir diese Medikamente also nicht konsequenterweise wegen mangelnder Evidenz sofort aus unserem Portfolio nehmen?

Auch macht die Komplexität und Individualität des menschlichen Organismus die Übertragung von Studienergebnissen, die an sorgfältig selektierten Proband*innen gewonnen wurden, in den Praxisalltag mindestens sehr fragwürdig. Selbst der Versuch, Studienergebnisse mit gleichem Design und Aufwand zu reproduzieren, scheitern in den meisten Fällen. Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen, sagt der Philosoph Heraklit. Das untermauert eine industrieunabhängige Untersuchung von 2015, die versuchte, die Ergebnisse von 53 hochkarätigen Veröffentlichungen aus der Krebstherapie zu reproduzieren. Gelungen ist dies bei nur sechs von 53 Studien (2). Der offizielle Wächter über die weltweite Studienlage und deren Qualität, die Cochrane Collaboration, die mithilfe von Metaanalysen die Leitlinien-Therapien in der Medizin mitentwickelt, bemängelt bei 97% aller medizinischen Studien eine für eine zweifelsfreie Aussage unzureichende Datenlage. (3) Nur bei 1% aller untersuchten (schul-)medizinischen Verfahren ließe sich laut Cochrane ein wissenschaftlich eindeutig belegter Nutzen für den Patienten erkennen. Und nur jede zweite medizinische Anwendung habe vermutlich (!) einen Benefit für die Patienten. Dieses beschämende Ergebnis verwundert nicht, wenn man sich die Zulassungsverfahren pharmazeutischer Produkte näher ansieht: Zwei positive Studien genügen den Richtlinien, unabhängig von der Zahl gleichwertiger negativer Studien zur selben Fragestellung. Da kann man nur staunen ob des Selbstbewusstseins von Pharmazie und Arzneimittelbehörden im Umgang mit Sicherheit und Wirksamkeit gegenüber Ärzten und Patienten (4).

Und in der Homöopathie?

Dagegen ist der Wissenschaftsnachweis der Homöopathie in allen sechs dazu vorliegenden Metaanalysen erbracht:  Die aus jeweils über 100 Homöopathie-Einzelstudien gewonnene „Evidenz“ liefert stets den Hinweis auf eine positive Wirkung der Homöopathie über Placebo hinaus (5). Und der unschlagbare Vorteil der homöopathischen Behandlung ist, dass es keine Belege für eine arzneiinduzierte Schädlichkeit am Patienten gibt – im Gegensatz zu vielen konventionellen Verfahren: Cochrane Daten zufolge setzen wir im praktischen medizinischen Alltag in 7% der Fälle für den Patienten vermutlich bzw. erwiesen schädliche Therapien ein (6). Wußten Sie das?

Wird die Homöopathie folglich trotz hervorragender Studienlage mangelnder Evidenz bezichtigt, dann also vor dem Hintergrund einer wissenschaftlichen Schräglage der konventionellen Medizin, die ihresgleichen sucht.

Sind wir also mit unserem Evidenzanspruch und damit unserem Bemühen um Therapiesicherheit in der konventionellen Medizin gescheitert?  Und lassen wir uns vielleicht zu sehr verführen von der suggerierten Sicherheit einer Leitlinienmedizin, die uns glauben machen will, dass wir unser Bestmögliches tun, wenn wir unser Handeln auf neueste wissenschaftliche Publikationen stützen? Nach neuerer Definition steht EbM glücklicherweise auf drei Säulen und nicht nur auf der offenkundig massiv manipulierbaren wissenschaftlichen Säule: Gleichrangig dazu sollen ja die Erfahrungen des Arztes und die persönlichen Wünsche und Vorstellungen des Patienten berücksichtigt werden (7).

Die Wünsche des Patienten sind leicht auf einen Nenner gebracht: Er möchte schnell und dauerhaft beschwerdefrei werden und das möglichst ohne Nebenwirkungen und zusätzliche (eigene) Kosten. Also hängt es an der Erfahrung des Arztes, dieses Ziel mit den Patienten so schnell und nachhaltig wie möglich zu erreichen. Dabei hilft ihm ein großer Werkzeugkasten, mit dem er auch jedem Sondermodell-Patienten individuell gerecht werden kann. Diese Erweiterung des Standardwerkzeugkastens „Schulmedizin“ mit „Spezialschlüsseln“ aus der Homöopathie verbessert allen Berichten und Erfahrungen zufolge – abgebildet in großen Versorgungsstudien – ganz eindeutig die Gesundheitslage der Patienten (8, 9). Als Fachärzte kennen wir unsere konventionellen Therapieoptionen, und stoßen, speziell bei chronischen Krankheiten, schnell an therapeutische Grenzen. Mit dem zusätzlichen homöopathischen Ansatz der individualisierten Betrachtung der Patienten können wir in vielen für die Schulmedizin unzugänglichen Krankheitsgeschehen deutliche Beschwerde-Verbesserungen bis hin zu Heilungen erzielen. Deshalb ist die Homöopathie den Umfragen nach (10) in der Bevölkerung sehr beliebt (Wunsch des Patienten) und bei einem erfahrenen Facharzt mit Zusatzqualifikation Homöopathie bestmöglich aufgehoben (Erfahrung des Arztes).

Damit ruht die Homöopathie auf allen 3 Säulen der EbM und muss den Vergleich mit konventioneller Medizin nicht scheuen!

Warum befindet sich die Akzeptanz der Homöopathie, selbst in ärztlichen Verbänden und Entscheidungsgremien, dennoch im fortgesetzten Sinkflug? Wegen ihrem Plausibilitätsdilemma? „Wo nichts drin ist, kann nichts wirken“? Weil das medizinische Weltbild an einem 300 Jahre alten materialistischen und ausschließlich substanzgebundenen Weltbild klebt und ein Weiterdenken im Sinne moderner Physik, Biologie, Genetik und Psychologie unmöglich scheint? Weil wir aus dem sich immer schneller drehenden Rad eines umsatzträchtigen „Disease-Management“ nicht mehr aussteigen können? Geht es letztlich um Medizinethos gegen Pharma-Dividenden? Also David gegen Goliath?

Wenn ja, dann lassen Sie uns Ärzte zusammen stehen in diesem Kampf um eine tatsächlich „bestmögliche“ und gesundheitsförderliche Medizin – im Interesse unserer Patienten, unserer medizinischen Verantwortung und vor allem auch im eigenen Interesse. Denn niemand gibt einem so dankbares Feedback wie ein gesundeter Patient!

Dr. Claudia Rehfueß, Augenärztin, München

Quellen:

  1. https://www.zeit.de/2017/25/medizin-studien-forschung-fehler-pharmaindustrie-john-ioannidis
  2. https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/kommentar-die-studienversager-1.2538825
  3. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/17683315/ „Mapping the Cochrane evidence for decision making in health care“
  4. https://harald-walach.de/2020/06/26/wie-robust-sind-zulassungen-von-konventionellen-arzneimitteln-durch-fda-und-ema
  5. Hahn RG. Homeopathy: Meta-Analyses of Pooled Clinical Data. Forsch Komplementmed 2013
  6. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/j.1365-2753.2007.00886.x
  7. https://www.cochrane.de/de/ebm
  8. https://www.carstens-stiftung.de/artikel/versorgungsforschung-zur-homoeopathie.html
  9. Witt CM et al. Homoeopathic medical practice: Long term results of a cohort study with 3981 patients. BMC Public Health 2005
  10. https://www.dzvhae.de/forsa-medizinwende/