Ein Plädoyer für eine neue Gesundheitspolitik von Klaus Holetschek, MdL, CSU
Klaus Holetschek: Die Gesundheit hat mich immer begleitet. Mein Interesse an der Gesundheitspolitik mag auch darin begründet liegen, dass ich in der Kur- und Kneipp-Stadt Bad Wörishofen aufgewachsen bin – von 2002 bis 2013 war ich auch Bürgermeister der Stadt. In der Gesundheitspolitik bin ich schon sehr lange aktiv, in den Deutschen Bundestag bin ich 1998 gewählt worden. Im Bayerischen Landtag war ich über viele Jahre Mitglied des Gesundheitsausschusses und bin heute Vorsitzender des Landesgesundheitsrats. Auch bin ich ehrenamtlich aktiv als Präsident des Kneipp-Bundes und als Präsident des Bayerischen Heilbäder-Verbands. Jetzt bin ich zwar in einem anderen Ressort als Staatssekretär tätig, aber Gesundheit ist eine Querschnittsaufgabe und ich bin mir sicher, dass wir auf ein Jahrzehnt der Gesundheit zu steuern. Wir müssen die Gesundheit in allen Politikbereichen mitdenken.
Welchen Stellenwert hat Therapiefreiheit und medizinischer Pluralismus für Sie?
Therapiefreiheit ist ein wichtiges Thema und die Aussage Wer heilt, hat Recht und die Forderungen der Kampagne weil`s hilft! sind richtig – aber auf der anderen Seite gibt es die Anforderungen bei der Frage der Evidenzbasiertheit und der wissenschaftlichen Forschung. In diesem Spannungsfeld bewegen sich die Möglichkeiten dieser Freiheit innerhalb des Systems. An diese Schnittstelle kommen wir immer wieder, weil wir ein solidarisch finanziertes Gesundheitssystem haben. Wir müssen definieren, welche Leistungen durch unser System finanziert werden können und dazu gehört auch die Frage, was ist uns unser System in welcher Ausrichtung wert.
Ließe sich das über die Ausbildung der Therapeuten steuern?
Ja, das Thema Ausbildung ist ganz wichtig. Zum Beispiel beim Thema Heilpraktiker: Ich unterstütze den Gedanken, die Qualität der Ausbildung zu erhöhen. Ich glaube, dass das richtig und notwendig ist und die Verbände müssen sich darauf einigen. Wenn ich die Qualität der Ausbildung erhöhe, habe ich als Patient mehr Sicherheit.
…und bei der Ärzteschaft, sollten dann nicht auch im Medizinstudium die besonderen Therapierichtungen in die Lehrpläne aufgenommen werden?
Die Frage ist, wie viel kann in das Studium aufgenommen werden und welche Anteile können vertiefend in die ärztliche Weiterbildung integriert werden – im Anschluss an das Studium. Die klassischen Naturheilverfahren haben ihren Platz im Curriculum.
Rund 60.000 Ärzte wenden bereits komplementärmedizinische Methoden an, 70 Prozent der Bevölkerung wünscht ein Miteinander in der Medizin – muss sich dies nicht im Gesundheitssystem widerspiegeln?
Ja, wir können an den Menschen, die dies wünschen, nicht einfach vorbeigehen. Eine moderne Medizin benötigt ein patientenorientiertes Gesundheitswesen, in dem Schulmedizin und Naturheilverfahren sich ergänzen. Im sinnvollen Miteinander von konventioneller und naturmedizinischer Therapie zu einer Integrativen Medizin liegt die Zukunft.
…welche Therapien rechnen Sie dazu?
Ich bin geprägt durch die klassischen Naturheilverfahren und Kneipp. Die fünf Elemente nach Kneipp, das ganzheitliche System von Körper, Geist und Seele sind eine Grundlage für die Medizin. Wir werden in Bamberg eine Studie zur Bewertung der Integrativen Medizin auf den Weg bringen und ich erhoffe mir dadurch auch eine größere gesellschaftliche Diskussion über das Thema. Natürlich gehören da auch die anthroposophische Medizin, die Homöopathie oder auch klassische Naturheilverfahren aus anderen Kulturen dazu, z.B. die Akupunktur aus der chinesischen Medizin.
Welche Rolle hat die Politik bei der inhaltlichen Steuerung des Systems?
Die Politik muss sich nach Corona mehr denn je die Frage stellen, ob das System funktioniert – auch das der Selbstverwaltung. Wir müssen fragen, was erwartet der Staat von der künftigen Gesundheitsversorgung und was ist sie ihm wert. Aber auch, welche Medizin möchte die Gesellschaft und haben wir den Mut, etwas grundlegend zu ändern. Es gibt viele Themen, die wir uns ganz neutral anschauen müssen, die wir einmal außerhalb des Systems denken sollten und vor allem immer vom Patienten her – und so sollten wir die Zukunft neu planen.
Was lernen wir aus Covid?
…dass wir viel zu wenig über Prävention sprechen, darüber, wie wir unser Immunsystem stärken können. Wie können wir Resilienz, wie können wir Resistenz erzeugen und wie können wir die Menschen dieser Gesellschaft gesünder machen?
Sind dann nicht auch aktivere Patienten gefragt?
Sicherlich, dies ist eine Frage der Gesundheitskompetenz, und an ihr mangelt es trotz besserer Kommunikation und Informationsmöglichkeiten noch immer. Wir dürfen keine Vollkaskomentalität mehr unterstützen, sondern müssen Gesundheitsangebote machen. Es gibt eine Verantwortung jedes einzelnen Menschen für seine Gesundheit, die gerade von den natürlichen Heilweisen unterstützt wird. Ich denke, dass wir insbesondere in Bayern ideale Voraussetzungen für einen gesundheitsförderlichen und präventiven Lebensstil haben: von der Klimatherapie über Angebote zu Sole, Moor und Schroth bis hin zu modernen Thermenlandschaften.
Das 3-Säulen-Modell der evidenzbasierten Medizin ist gut, wird aber eher selten angewendet. Welche Maßnahmen können ergriffen werden, damit es umgesetzt wird?
Wir kennen die Diskussionen und die Skepsis gegenüber bestimmten Verfahren wie beispielsweise der Homöopathie – die ist für mich auch nachvollziehbar. Aber ich bin der Meinung, wir sollten uns zumindest die Freiheit nehmen, auch auf diesem Gebiet zu forschen. Nur so können wir ermitteln, wobei uns diese Methode unterstützen kann. Wir haben diese Diskussionen ja im Freistaat in Bezug auf Antibiotika-Resistenz geführt. Nicht auf eine Methode begrenzt und nicht dogmatisch. Wir fragen zum Beispiel auch, wie könnten uns Naturheilverfahren hier weiterhelfen? Nehmen wir mal bei der Mittelohrentzündung das Zwiebelsäckchen oder den Senfumschlag, da gibt es wohl auch Möglichkeiten, eine Wirksamkeit zu belegen und in dem Zusammenhang forschen wir auch auf dem Gebiet der Homöopathie – nicht ausschließlich, aber auch. Hier erleben wir allerdings eine sehr verengte Diskussion, die sehr emotional und ideologisch geprägt ist.
Sie haben im Herbst 2019 die Homöopathie im bayerischen Landtag gegenüber der FDP verteidigt. Warum?
Ich habe für die Naturheilverfahren insgesamt argumentiert, unter anderem dafür, dass die Wahlleistung Homöopathie der Krankenkassen erhalten bleibt. Der Grund ist, dass die Kosten für die Homöopathie keine große finanzielle Belastung der Kassen darstellt, sie aber sehr stark in der Bevölkerung nachgefragt wird. Sprechen Sie mal mit Eltern über ihre Erfahrung mit bestimmten Methoden, dann sehen Sie, welchen Stellenwert die Homöopathie in diesen Lebenswelten hat. Neben der Wahlleistung gibt es für mich aber noch eine andere Konsequenz: Wir müssen auch in der Forschung nachlegen. Es gibt bereits Studien, die natürlich sofort wieder zerlegt werden, beispielsweise die erste Fassung der Australischen-Studie, die von ´vielversprechenden Belegen für die Wirksamkeit der Homöopathie` berichtet. Ich bin kein Wissenschaftler, ich bin Jurist – ich weiß, es gibt immer zwei Seiten einer Medaille und man muss diese Seiten abwägen und sich die Faktenlage anschauen. Aber ich bin auch Politiker und wir sollten gerade nicht an einer Gesellschaft vorbeigehen, die sich in der Realität dem Thema Naturheilverfahren zuwendet und auch sicherlich dem der Homöopathie. Gerade die Skepsis sollte uns antreiben, diese Methoden weiter zu erforschen.
Wie kommentieren Sie die Kampagne der sog. Skeptiker gegen Homöopathie, Akupunktur & Co.?
Ich habe viele Facebook-Kommentare auf meine Rede im Landtag erhalten, ich habe dies mit großem Interesse verfolgt. Man sollte sich auf diesem Feld nicht allzu emotional bewegen, auch wenn man persönlich stark angegriffen wird – ich habe das so zuvor noch nicht erlebt. Wir müssen uns mit den Themen auseinandersetzen und die Argumente von beiden Seiten anschauen, so funktioniert der gesellschaftliche Diskurs.
Wie ist der Stand bei der Antibiotika-Studie?
Die Diskussion um diese Studie wurde ja auch sehr am Thema Homöopathie hochgekocht, dabei ist sie nur ein Teilbereich. Antibiotika-Resistenzen sind ein riesiges Problem, dem wir nur begegnen können, wenn wir offen in alle Richtungen sind. Wir müssen auch schauen, welchen Beitrag Naturheilverfahren leisten können. Die Studie ist ausgeschrieben, entschieden ist aber noch nichts.
Gibt es außer der Studie noch weitere Vorhaben von Ihnen?
Wenn ich sehe, was wir hier in Bayern im Bereich der Integrativen Medizin schon tun, dann sind das gute Ansätze. Wir müssen jetzt aber nachlegen, zum Beispiel mit einem Lehrstuhl hier im Land – und auch da sind wir schon auf einem guten Weg, auch was die Finanzierung durch einen Sponsor angeht. Wenn wir über Integrative Medizin sprechen, gehören da natürlich verschiedene Methoden hinzu, unter anderem die Homöopathie, aber den größeren Bereich sollen die klassischen Naturheilverfahren einnehmen.
Braucht es aus Ihrer Sicht unterschiedliche Forschung für unterschiedliche Medizinkonzepte?
Es gibt nur ein Konzept für die Gesundheit und das heißt: Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen und wir müssen das System vom Patienten aus denken. Somit müssen wir auch die Forschung entsprechend auslegen, deshalb kommt ja auch die Frage nach einem Lehrstuhl. Wir müssen die natürlichen Heilweisen besser erforschen, sie werden sich in nächster Zeit noch mehr entwickeln. Die Sehnsucht der Menschen nach natürlicher Medizin ist sehr groß.
…und wie schätzen Sie die heutige Praxis ein?
Wenn wir ehrlich sind, sieht es doch so aus: Man geht zum Arzt und möchte mal schnell etwas Starkes erhalten, um nur schnell wieder auf die Beine zu kommen. Wir nehmen uns für unsere Gesundheit keine Zeit mehr. Die Medizin, die die Zuwendung in den Mittelpunkt stellt, die belohnen wir nicht, die verurteilen wir. Es geht zurzeit nach Geschwindigkeit und nicht nach Ganzheitlichkeit, hier haben wir ein verkehrtes System aufgebaut.
Was sollte aus Ihrer Sicht Medizin sein?
Medizin sollte für die Gesundheit des Menschen da sein, und dafür brauchen wir Vielfalt, oder anders ausgedrückt: Die Integrative Medizin. Ich wünsche mir mehr Zuwendung in der Medizin, zum Beispiel ist jede Kneippsche Anwendung eine Zuwendung, aber auch jede längere Anamnese. Die Medizin muss dem Menschen wieder mehr zu hören, die sprechende Medizin muss wieder in den Vordergrund gerückt werden. Hierfür müssen wir im System die Grundlagen, die Anreize schaffen. Es wäre doch sehr spannend, wenn wir an dieses Thema mal ernsthaft herangehen würden. Ich vermute, wir würden obendrein auch noch viel Geld einsparen können. Wir müssen es zum Beispiel schaffen, dass die Prävention den Platz im System bekommt, der ihr zu steht. Es ist ein Widerspruch, dass der Großteil der Kosten für die Reparatur ausgegeben wird und die Kosten der Prävention im Promillebereich liegen.
Wie ließe sich dies umsetzen?
Ich würde mir wünschen, dass wir mal Grenzen überschreiten, aufbrechen und uns wieder an den Bedürfnissen des Menschen orientieren und an dem, was etwa auch die Kampagne weil`s hilft! erreichen will: Ein Miteinander von Schulmedizin und Naturmedizin. Wir sollten uns nicht ständig sofort in Bedenken ergehen, und sagen, das geht nicht, weil es nicht finanzierbar ist, oder weil das SGB XI im Paragrafen soundso es nicht hergibt. Ich bin sehr für einen gesunden Wettbewerb und für neue Ideen. In einem bin ich mir ganz sicher: Wir stehen vor einem Jahrzehnt der Gesundheit, ich bin überzeugt, dass Gesundheit eine neue Bedeutung erhalten wird.
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Das Gespräch führte Christoph Trapp, Juli 2020 München